Ohne Maschinen beackert Herbert Heußler sieben seiner Weinberge. Er setzt aufs Pferd. Das hat er sein Leben lang so gemacht. Mit viel Leidenschaft und einem PS holt er die natürliche Fruchtbarkeit zurück. Das Ergebnis: Herausragende Weine aus gutem Grund.
Rico knabbert am Spätburgunder. Auch der Maulkorb aus Draht kann ihn nicht daran hindern. Mit gemächlichem Schritt trottet er an den Reben entlang. Immer wieder schafft er es, einige der Blätter abzubeißen. „Rico, hörsch uff“, ruft Herbert Heußler in seinem pfälzischen Dialekt. Aufmerksam stellt der Wallach seine Ohren auf und unterbricht für einen Moment seine Mahlzeit. Dann frisst er weiter, Herbert Heußler muss lachen: „Das nennt man wohl Qualitätskontrolle.“
Er läuft in einer Staubwolke hinter dem Arbeitspferd her, als er das sagt. Eine feine Schmutzschicht hat sich auf Haut und Haare, auf die Kleidung und in Nase und Ohren gelegt. Die Augen jucken. Herbert Heußler, Jahrgang 1949, schwitzt. Konzentriert blickt er auf den Pflug, dessen Schare sich an den Rebstöcken entlang in den gelbsandigen Lehmboden graben. Das Rad quietscht, jedes der Jahre ist zu hören, der Pflug ist Baujahr 1936. Heußlers Schwiegervater, ein Schmied, hat ihn gebaut. Reihe für Reihe geht es rauf und runter, 80 Meter, 22 Mal. „Das ist wie Meditation“, sagt der Winzer, „denken darfst du nicht, sonst pflügst du einen Stock ab.“ Mit Geduld und viel Feingefühl führt er den Grubber, wie der traditionelle Handpflug genannt wird. Gleichzeitig hält er die Zügel und gibt Kommandos.
Es geht um Zentimeter. Und Rico muss sofort gehorchen, wenn Grasbüschel die Pflugschar verstopfen und entfernt werden müssen. „Brrr“ heißt stopp, „Hü“ vorwärts, „Huf“ rückwärts. „Har“ bedeutet links, „Hott“ rechts. Das 700 Kilo schwere Tier ist ein Schwarzwälder Fuchs mit blonder, buschiger Mähne, weißer Blesse und kastanienfarbenem Fell, mit muskulösem Körper und kurzem Hals – eine Kaltblutrasse, was schon viel über das Temperament verrät. Rico bringt nichts so schnell aus der Ruhe. Einen Pirouettendreher könnte Herbert Heußler bei seiner Arbeit im Weinberg auch kaum brauchen, jeder Fehltritt, jede Unachtsamkeit könnten großen Schaden anrichten.
Herbert Heußler ist ein drahtiger Mann. Er trägt eine Brille und eine Mütze, die seine Glatze vor zu viel Sonne schützt. Er ist der Letzte seiner Art, der wohl einzige deutsche Winzer, der noch täglich mit dem Pferd in den Wingert fährt, wie die Pfälzer ihre Weinberge nennen. Auf zwei Hektar verzichtet er komplett auf Maschinen und Chemie, baut Riesling, Grau- und Spätburgunder an. Alles in Pferde- und Handarbeit. Nur Schwefelpuder gegen Echten Mehltau wird ausgebracht – mit einer Handpumpe und einem Kanister auf dem Rücken. Der Pferdemist wird als Dünger verteilt. Ökowinzer würde sich Herbert Heußler aber nie nennen. Das wären ihm zu viele Vorschriften. Er sagt: „Ich liebe Pferde und guten Wein, und ich achte dabei auf die Umwelt – das ist alles.“
Knapp 1200 Menschen leben in Rhodt unter Rietburg, das in der Südpfalz bei Neustadt an der Weinstraße liegt. Etwas oberhalb des idyllischen Winzerdorfes liegen das Hambacher Schloss und die Ruine der Rietburg. Ein Stück dahinter beginnt der Pfälzer Wald. Vor 50 Jahren noch waren kaltblütige Arbeitspferde in Rhodt unersetzlich, die Hufe von mehr als 60 Tieren klapperten über das Kopfsteinpflaster der engen Gassen. In den 60er Jahren aber begann das Zeitalter der Maschinen, die Vierbeiner wurden überflüssig. Das Einzige was blieb, war die Angabe einer Motorleistung in Pferdestärken. Ein PS beschreibt heute noch die Kraft, die es braucht, um 75 Kilo in einer Sekunde einen Meter zu bewegen.
Als zu Beginn der 70er Jahre die Weinbauern ihren Fuhrpark endgültig motorisierten und die letzten Gäule zum Schlachter führten, hatte Herbert Heußler gerade das Weingut vom Vater übernommen. Auch der hatte den Ackergaul einige Jahre zuvor durch Traktoren ersetzt. Das Erste, was der damals 25-jährige Sohn tat: Er holte wieder ein Pferd auf den Hof. Heute stehen zwei Kaltblüter im Stall. Resch ist mittlerweile in Rente. Der 23 Jahre alte Fuchs hat Arthrose in den Knien. Fast zwei Jahrzehnte hat er im Wingert gearbeitet. Der siebenjährige Rico hat die Nachfolge angetreten. „Der Stall darf nicht kalt werden“, sagt Herbert Heußler, der seine Kollegen „Maschinenwinzer“ nennt.
Schnell könnte man den Eindruck bekommen, dass Herbert Heußler ein Verweigerer ist, ein Mann der alten Schule, der aus Sentimentalität seinen Boden nach alter Tradition beackert. Wer sich das Wappen des Weingutes aber genauer ansieht, kann viel mehr über den Winzer erfahren. Seit 1563 trägt die Familie dieses Abzeichen. Es zeigt einen grünen Dreiberg und ein goldenes Einhorn mit wallender Mähne. Symbole, die als bodenständig, wehrhaft und ehrlich gelten. Eigenschaften, die auch Herbert Heußler sehr gut beschreiben. Er ist in Rhodt geboren und hat sein gesamtes Leben hier verbracht. Nur dreimal sind er und seine Frau in den Urlaub gefahren. Zweimal ins Allgäu, einmal nach Südtirol. „Das war dann schon zu weit“, erinnert er sich, „ich bin nicht so gerne in der Fremde.“ Er sagt: „Wenn man mir eine Reise rund um den Globus schenken würde, müsste ich dankend ablehnen. Ich muss hier nicht weg.“
Der Grundstock für das Weingut Heußler wurde bereits 1750 gelegt, als Vorfahren nach Rhodt kamen. Heute umfasst die Rebfläche 15 Hektar, auf denen mehr als ein Dutzend Sorten wachsen – zwei Drittel weiße Trauben wie Riesling, Müller-Thurgau oder Gewürztraminer, ein Drittel rote Reben wie Portugieser, Dornfelder oder Spätburgunder. Denn das Geld muss die Familie nach wie vor mit Hilfe von Maschinen verdienen. Für 13 Hektar Fläche ist Christian Heußler zuständig, wobei auch der Juniorchef sehr genau darauf achtet, wann Traktoren und Spritzmittel zum Einsatz kommen müssen und wann nicht. Der 33-Jährige ist der Kellermeister und für den Ausbau der Weine verantwortlich, so kann sich der Vater ganz der Pferdearbeit widmen.
Weniger Maschineneinsatz bringt mehr Qualität, davon ist Herbert Heußler überzeugt. Denn so schonend wie ein Ackergaul arbeitet keine Maschine. Mit Rico und dem Pflug lockert er den Boden, tonnenschwere Schlepper verdichten ihn. Der Boden wird dann hart wie Beton, nimmt weniger Wasser auf und erodiert auch schneller. Er ist viel schlechter belüftet und verliert seine natürliche Fruchtbarkeit. „Er ist so gut wie tot“, sagt Herbert Heußler, „doch nur wenn sich die Wurzeln ausbreiten können, können sich auch die Reben entfalten.“ In seinen Weinbergen gibt es weniger Pilzkrankheiten, es muss nicht gedüngt werden. „Die Rebe impft sich selbst, die Natur übernimmt das.“
Vor fünf Jahren wollte es Herbert Heußler ganz genau wissen. Er begann, drei der Weinberge von Grund auf mit dem Pferd zu bearbeiten. Neue Reben wurden gepflanzt, die noch nie eine Maschine gesehen hatten. Drei Jahre dauerte die Umstellung, bis der erste Jahrgang abgefüllt werden konnte: ein Riesling und ein Grauburgunder. „Sie haben mehr Fülle und Harmonie und schmecken deutlich intensiver und mineralischer“, sagt Christian Heußler. „Weine aus gutem Grund“, sagt sein Vater. Lange haben sie in der Familie nach einem geeigneten Namen für das Etikett gesucht. Dann haben sie ihn gefunden: Rosswingert. „Einfach und gut“, sagt Herbert Heußler, „ein Name, der zu uns passt.“
Er sitzt in der Küche des alten Winzerhauses. Freunde haben eine Postkarte geschickt. Das Motiv zeigt einen Mann, der am Pflug hinter einem Pferd herläuft. „Die kennen mich gut.“ In der Küche hängen viele Postkarten und viele gerahmte Fotos an der Wand. Eine kleine Ahnengalerie mit Mensch und Pferd. Auch Schwarzweißfotos mit dem Großvater am Pflug sind dabei. Er war es, der 1936 den ersten Kaltblüter auf den Hof geholt hatte. Auf dem Bild daneben sitzt Herbert Heußler auf einem Festwagen und hält stolz die Zügel in den Händen. Auf dem Rhodter Weinfest kutschierte er damals seine ganze Schulklasse durch den Ort. Er war erst zehn.
Wenn Herbert Heußler von seinen Pferden erzählt, kann man das Leuchten in seinen Augen sehen. Der Tisch in der Küche hebt sich manchmal etwas, wenn er aufgeregt mit seinem Oberschenkel dagegen drückt. „Meine Frau sagt immer, wenn ich nicht als Mensch auf die Welt gekommen wäre, dann als Gaul.“ Er sagt: „Mein Gaul und ich, wir schaffen zusammen. Und wenn wir nicht mehr können, sind wir zusammen müde. Und dann fahren wir heim.“
Oft steht er mitten in der Nacht auf, um schon bei Tagesanbruch im Wingert zu sein und der Mittagshitze zu entgehen. Jeden Morgen dauert es eine halbe Stunde, bis Rico gestriegelt und angeschirrt ist. Mit dem Schlepper wäre er längst bei der Arbeit. Der Aufwand ist unvergleichbar höher. Was Mann und Pferd an einem Tag pflügen, schafft ein Traktor in 30 Minuten. Bei der Maschine dreht man den Schlüssel und dann ist Feierabend. Mit Pferden muss man erst noch ausmisten, tränken und Heu machen. Doch die Rechnung ist eine andere: Herbert Heußler hat sich seinen Alltag entschleunigt. Er arbeitet naturverbundener, mehr im Takt der Natur. „Ich nehme mir die Zeit und lebe intensiver, das ist gesünder“, sagt er, „der Rosswingert ist ein Projekt zurück zu den Wurzeln.“ Das gesamte Weingut aufs Pferd umzustellen, wäre allerdings nicht möglich und viel zu teuer. „Da müssten wir mehr Pferde, mehr Fuhrwerke und mehr Angestellte haben, die mit Gaul und Pflug umgehen können. Obwohl“, einen Moment lang hält er inne, „ein Traum wäre das schon.“
Bevor es am Abend nachhause geht, fährt Herbert Heußler noch auf eine nahe gelegene Wiese und holt die Sense raus. Frisches Abendessen. Wenn er dann auf dem Bock sitzt und nachhause juckelt, „ist das wie Urlaub“, sagt er. Er ist müde und zufrieden. Er pfeift ein Lied. Maschinenwinzer rauschen heran und vorbei. Er ist der Langsame, der Entspannte. Am Wegesrand steht einer seiner Kollegen aus dem Dorf und hat ein Problem mit seinem Traktor. Er hat die Kühlerhaube aufgeklappt, liegt unter dem Schlepper und flucht. Doch der Motor will nicht mehr anspringen. „Überbrücken geht nicht“, scherzt Herbert Heußler, „soll ich dich abschleppen?“
Dies ist ein Textauszug. Lesen Sie die ganze Geschichte in Buntland – 16 Menschen, 16 Geschichten.
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