Die Reisekneipe in der Dresdner Neustadt ist ein Ort, wo große Träume beginnen. Wo Menschen in Gedanken auf Reisen gehen und von Abenteuern in fernen Ländern berichten. Und manchmal erzählt auch Kneipenchef Frank Schulz, wie er in Afrika herausfand, was den Deutschen am meisten fehlt.
Es ist nicht so einfach, Frank Schulz in seiner Heimatstadt Dresden zu treffen – er ist ständig unterwegs. Gerade kommt er aus dem Senegal, wo er eine neue Route für das kommende Jahr ausgearbeitet hat. Am Wochenende wird er mit dem Wohnmobil weiter nach Schweden fahren, um alles für den Wasa-Lauf vorzubereiten. Im März wird er mit einer Reisegruppe bei dem traditionellen Skilanglaufrennen starten. Und schon jetzt beträgt der Temperaturunterschied von Westafrika nach Skandinavien fast 50 Grad – binnen einer Woche. „Das ist hart“, sagt Frank Schulz und freut sich dennoch über die Abwechslung. Es gibt allerdings auch Morgende, an denen er kurz nach dem Aufwachen nicht weiß, in welchem Land er gerade ist. „Dann wird es gefährlich“, sagt der bald 60-Jährige, „dann muss ich aufpassen, dass es nicht zu viel Abwechslung wird.“
Frank Schulz sitzt in seiner Reisekneipe in der Dresdner Neustadt und malt mit den Händen Landkarten in die Luft. Der Lauf eines Flusses im Senegal, die Grenzen eines Nationalparks. Dazu erzählt er in seiner ruhigen Art von Landschaften und Menschen, von Savanne und Elefantengras, vom Bassari-Land und den dort lebenden Bedik, einem Stamm in den Bergen im Südosten des Landes. Frank Schulz sagt: „Ein wunderbares Wandergebiet, das kaum jemand kennt.“
Der Mann mit den blauen Augen, den kurzen, blonden Haaren und den buschigen Augenbrauen ist Reiseveranstalter. Drei bis vier Monate im Jahr ist er unterwegs. Und der Auslöser für seine heutige Leidenschaft liegt in Westafrika. 1967 bis 1970 lebte er mit seinen Eltern und seiner Schwester in Mali. Seine Eltern waren Lehrer und bekamen die seltene Möglichkeit, im Ausland zu arbeiten. Sie wurden die ersten Entwicklungshelfer der DDR. Und schnell wollte Frank Schulz schon damals als Jugendlicher mehr wissen über andere Länder und Kulturen.
Zurück in Ostdeutschland reist er viel. Er trampt durch Ost- und Südosteuropa. Vier Jahre studiert er arabische Literatur in Baku, damals noch Sowjetunion und heute die Hauptstadt Aserbaidschans. Als er einen Kommilitonen aus Westdeutschland kennenlernt und sie gemeinsam einen Ausflug in den Kaukasus machen, werden sie vom KGB verhaftet, dem russischen Geheimdienst. Frank Schulz wird wegen unerlaubter Verbindung zu einem Bürger der BRD des Landes verwiesen. Sein Studium beendet er in Leipzig, schon damals arbeitet er für Jugendtours, für die er Fahrten innerhalb der DDR organisiert.
Mit der Wende eröffnen sich plötzlich völlig neue Möglichkeiten. Die Welt wird größer. Seine erste Tour führt ihn per Anhalter in die Schweiz und weiter nach Frankreich. „Zürich war ein Schock“, erinnert er, „eine Bockwurst kostete acht Schweizer Franken, bei uns in der DDR 85 Pfennig.“ Und weniger als ein Jahr nach dem Ende der DDR verwirklicht Frank Schulz seinen großen Traum: das eigene, kleine Reiseunternehmen. Als Ein-Mann-Veranstalter fängt er an. Er kauft sich einen Kleinbus und ist einer der Ersten, die in Dresden Stadtrundfahrten anbieten. Er steht am Zwinger und wartete auf Touristen. Er nennt seine Firma schulz aktiv reisen, so heißt sie heute noch. „Mein großes Plus war damals, dass ich jedes Hotel, jedes Restaurant und jede Straßenecke kannte.“ Dennoch muss er in dieser Anfangszeit viel improvisieren. Viele Interessenten kommen auch direkt zu ihm in die Wohnung, um Reisen zu buchen. Im gesamten Haus gibt es damals allerdings nur ein Telefon. Wenn er einen Anruf bekommt, muss er jedes Mal in die dritte Etage hinauflaufen. Schulz selber verbringt täglich viele Stunden bei der Post, wo er sich an der Wählscheibe regelmäßig einen wunden Finger telefoniert.
Heute hat Frank Schulz 20 Angestellte und organisiert Reisen für kleinere Gruppen von zwölf bis 14 Teilnehmern auf alle Kontinente. Die Spezialgebiete: Osteuropa, Südamerika und Westafrika. Und mit der Eröffnung der Reisekneipe im Februar 2003 hat er sich seinen nächsten Wunsch erfüllt: Einen Ort mitten in Dresden, wo große Träume beginnen, wo sich Menschen treffen, die das Reisen lieben. Regelmäßig kommen Gäste in die Görlitzer Straße, um sich über Abenteuer auszutauschen oder Pläne für neue Urlaube zu schmieden.
Vor dem Altbau mit der steingrauen Fassade hängt ein Globus, der im Dunkeln leuchtet. Drinnen: Viel Holz, viele Fotos, Karten und Souvenirs an den Wänden. Und Frank Schulz kann zu jedem Gegenstand und jedem Bild eine Geschichte erzählen. In einer Ecke hat man ein malisches Lehmhaus mit Strohdach nachgebaut, die Gäste sitzen darin auf Holzstämmen. Nebenan steht die Nepalhütte, eine enge Sitznische für maximal sechs Personen. Geht man den Gang weiter, findet man eine orientalische Teestube. Und vorne beim Eingang gibt es eine russische Ecke mit Wodkaflaschen und Bildern aus dem Kaukasus und Russisch-Karelien.
Irgendwann kreisen die Gespräche hier zwangsläufig um große Reisen und ferne Länder. Eine willkommene Abwechslung im Dresdner Winter: Man verreist in Gedanken. Der Mann am Tresen erzählt der Frau an der Bar von einer mehrmonatigen Tour durch Vietnam. Auf einem Bildschirm werden Bilder aus Spitzbergen und der Transsibirischen Eisenbahn gezeigt. Ein Gast bestellt einen Birkenwodka und ein Baltika 7, ein helles, russisches Lagerbier aus Sankt Petersburg. Auf der Karte stehen Biere aus 13 Ländern und neun verschiedene Wodkasorten.
In der so genannten Berghütte, einem rustikal aus Holz gestalteten Bereich mit massiven Tischen und Bänken, trifft sich heute die Wüstengruppe, um über ihre Touren durch die Sahara zu erzählen. Im Hinterhaus hält eine Dresdnerin einen Vortrag: Per Anhalter durch den Iran. 70 Zuhörer sind gekommen. Jeden Mittwoch ein neues Thema: „Als Radvagabunden musizierend durch Europa“, „Marokko mit dem Motorrad, „Zu Fuß durch Sachsen“ oder „Als Tourist in Nordkorea“. Passend zum jeweiligen Reisebericht wird ein landestypisches Gericht gekocht.
Frank Schulz sagt: „Ich kann wirklich sehr lange Zeit unterwegs und weg von zuhause sein. Ich komme aber auch immer gerne wieder zurück nach Dresden, Auswandern wäre nichts für mich.“ Und wenn er nach einigen Wochen in Afrika wieder in Deutschland ist, fällt ihm jedes Mal vor allem eines auf: wie wenig Zeit die Menschen hier haben. „Die Zeit ist uns abhanden gekommen“, sagt er, „im Senegal oder in Mali hat der Tag noch 24 Stunden, hier scheint er nur zehn zu haben. Wenn ich unterwegs bin, bin ich losgelöst von diesen Alltagsproblemen, die einem die Zeit rauben.“ Und schon ist er in Gedanken wieder irgendwo in Afrika und malt mit dem Finger die nächste Landkarte in die Luft.