Dies ist die Geschichte von Thorsten Fixemer, der mal Schlosser lernte, dann Straßenmusiker war und heute das ist, was er immer sein wollte: Ein Reisender, der ständig unterwegs und längst angekommen ist. In Hamburg betreibt er einen Musikclub auf Rädern. Und Bands aus der ganzen Welt treten mittlerweile bei ihm auf.
Es gab eine Zeit, da war eine Stadt wie Hamburg für einen Mann wie Thorsten Fixemer viel zu klein. Er hatte Schlosser gelernt, arbeitete von morgens bis abends und fühlte sich wie in einem Gefängnis. Er musste raus. Er wollte unterwegs sein. Er kündigte. Drei Jahre lebte er in einem ausgebauten Überlandbus. Er fuhr durch Deutschland und bis nach Spanien und Italien. Sein Geld verdiente er auf der Straße, als Musiker. Endlich konnte er dort sein, wo er sein wollte: überall. Hauptsache mobil und nicht festgenagelt an einem Ort.
Bis heute ist der Mittvierziger ein Reisender geblieben, auch wenn er längst wieder dort angekommen ist, wo er einst gestartet war: in Hamburg. „Es hat geklappt“, sagt der Mann mit den halblangen, blonden Haaren, „mein Traum ist wahr geworden.“ Und jeden Abend erfüllt er sich diesen aufs Neue, wenn er den Schlüssel aus der Manteltasche zieht, in das Schloss steckt, herumdreht und die Tür seines Musikclubs öffnet. Vorne links: ein winziger Tresen. Ganz hinten: eine kleine Bühne mit einem alten Klavier. Links und rechts: Stühle und Sessel. Dazu ein schwarzer Brikettofen aus den 50er Jahren. Das Ganze auf knapp 30 Quadratmetern. Die fensterlosen Wände sind in einem kräftigen Rot gestrichen. Er hat viele Spiegel aufgehängt, die den schmalen Raum größer wirken lassen. Vermutlich ist der Mobile Blues Club der Kleinste der Hansestadt. Das Ungewöhnliche ist aber nicht seine Größe. Denn er hat etwas, was andere Bars und Konzerträume nicht haben: Räder.
Wer das Schulterblatt, die bekannteste Straße im Hamburger Schanzenviertel, bis zum nördlichen Ende geht, läuft automatisch an Fixemers bemaltem Anhänger vorbei. Er steht geschützt unter Robinien, Buchen und Kastanien am Rande eines großen Bezahlparkplatzes und erinnert an einen alten Zirkuswagen. MBC Musik & Artistik steht in geschwungener, roter und weißer Schrift auf den Seitenflächen. In Sichtweite liegt ein Bahndamm, wo sich die S-Bahn und die ICEs durch das Schanzenviertel schieben, wo einst das linksalternative Herz der Hansestadt schlug und wo heute vieles gleich aussieht und die Currywurst 3,50 Euro kostet.
Zwölf Meter lang, zweieinhalb Meter breit. Eine Hausnummer gibt es nicht. Aber einen Briefkasten hat Thorsten Fixemer an den niedrigen Holzzaun vor den Wagen gehängt. Die Post kommt an, auch wenn die Adresse mehr einer Beschreibung gleicht: Mobile Blues Club, Ecke Schulterblatt/Max-Brauer-Allee. Es ist ein alter Packwagen. Der Vorbesitzer hatte darin Weihnachtsbuden transportiert. Fast 20 Jahre hatte der Anhänger auf einem Acker in einem Industriegebiet nördlich von Hamburg gestanden und wurde vom Rost zerfressen. Fixemer kaufte ihn für wenig Geld, zum Schrottpreis, wie man sagt. Viele Monate saß er zunächst alleine darin, hörte Musik und überlegte. Seine Idee reifte. Bis irgendwann ein Freund kam und sagte: „Genug nachgedacht. Fang’ endlich an! Mach’ deinen Traum wahr.“ Also restaurierte er den Wagen, baute ihn zu einem mobilen Club aus und suchte sich einen Stellplatz mitten in der Stadt. Doch bald schon musste er den Platz räumen. Und so war es oft: Meist musste er die Orte nach wenigen Wochen oder Monaten schon wieder verlassen, da er im Weg stand oder dort etwas gebaut werden sollte.
Thorsten Fixemer trägt einen Ring im linken Ohr und einen etwas zu großen Mantel, darunter ein gestreiftes Hemd und eine schwarze Weste. Seine tiefe, leicht raue Stimme passt zu dem Instrument, das er spielt: Kontrabass. Er liebt den Blues und hat eine eigene Band, Hasty Medicine. Vergleichsweise lange schon – seit März 2006 – darf er mit seinem MBC hier in Hamburg-Eimsbüttel parken. Jeden Monat zahlt eine geringe Platzmiete, den Stromanschluss und den Tankwagen, der regelmäßig kommen muss, um die Toilette abzusaugen, die in einem kleinen Bauwagen untergebracht ist. „Jeder Monat könnte der letzte sein“, weiß er. Und dennoch hat er gegenüber anderen Clubs und Bars, die hohe Mieten zahlen müssen oder häufig Stress mit den Nachbarn haben, einen entscheidenden Vorteil: „Die Gewissheit, mobil zu sein, ist die größte Sicherheit, die ich haben kann. Meinen Laden wird es immer geben. Er ist unsinkbar.“ Thorsten Fixemer will beweglich bleiben. Das ist sein Lebensentwurf. „Ich lasse mich treiben“, sagt er, „und wenn ich hier irgendwann weg muss, tauche ich irgendwo anders wieder auf. Dann kommt ein neuer Platz. Der Raum bleibt immer gleich, nur der Ort ist ein anderer.“
Freiheit, Mobilität und Unabhängigkeit sind Worte, die Thorsten Fixemer häufig benutzt, wenn er aus seinem Leben erzählt. Er sagt: „Das ständige Unterwegssein hat mich schon immer fasziniert. Ich brauche die Mobilität, um das machen zu können, was ich wirklich bin.“ Schon früh entdeckt der gebürtige Hamburger seine Leidenschaft für große Fahrzeuge. Sein Vater hat eine Werkstatt für Reisebusse und zeigt ihm, wie man diese repariert. Als er zwölf ist, lenkt er das erste Mal einen der großen Busse über das Hofgelände. Nach seiner Schlosserlehre will er zur See und auf große Fahrt gehen. Er fängt an auf einer der England-Fähren. Im Maschinenraum. Ein Jahr lang pendelt er zwischen Hamburg und Harwich. Dann aber hat er genug von der Routine. Schnell wird ihm klar, dass er jede Form von Stillstand nicht aushalten wird. Er schmeißt den Job und ist erleichtert.
Und längst hat er die Musik für sich entdeckt. Mehr als acht Jahre verdient er als Club- und Straßenmusiker sein Geld. „Ein intensives Musikstudium“, nennt er es heute. Jeden Tag steht er in Fußgängerzonen, spielt auf seinem Kontrabass und singt dazu. Er kann gut davon leben. Meist tritt er gemeinsam mit einem Freund als Duo auf. Und die Passanten merken sehr schnell, dass da welche Musik machen, die das nicht müssen, sondern wollen. Sie gehen auf Tour, beginnen in Hamburg, kaufen sich von dem verdienten Geld ein Zugticket und fahren in die nächste Stadt. Und so geht es weiter, auch bis nach Holland und sogar bis nach Spanien. „Die Straße war wie ein großes Schloss“, beschreibt Thorsten Fixemer, „für mich war es die absolute Befreiung von dem Leben davor, in dem ich mich immer zu eng gefühlt hatte. Alle Türen sind plötzlich aufgegangen. Durch diese Freiheit ist mir vieles klarer geworden. Und der intensive Kontakt zu den Menschen hat mich geprägt. Ich habe mich wieder im Leben gefühlt.“
Thorsten Fixemer zündet jetzt Kerzen an, räumt Getränke in die Kühlschränke und heizt den Ofen ein. „Es muss warm sein“, sagt er, „sonst gehen die Leute gleich wieder.“ Noch ist sein Atem in kleinen Wölkchen zu sehen. Etwa eineinhalb Stunden braucht der Ofen für den kleinen Raum. Und wenn am Abend draußen die bunte Lichterkette angeht, werden die ersten Passanten stehen bleiben. Sie werden die Musik hören, die aus dem seltsamen Wagen kommt. Und die Neugierigen werden die Tür öffnen und hereinkommen. „Es ist eine sehr intime, private Atmosphäre. Als ob ich die Leute in mein Wohnzimmer einlade“, sagt Fixemer, „ich lasse sie ein Stück weit hinein in meinen Traum.“
Heute: Live Musik hat er mit Kreide auf eine Tafel geschrieben, die er draußen an den Zaun neben den Postkasten gehängt hat. Das Programm ist international. Allein im März spielen Musiker aus Frankreich, Israel, Australien, der Schweiz, Dänemark, Schweden und Deutschland im MBC. Und regelmäßig machen sich Bands aus ganz Deutschland auf die Reise nach Hamburg, um im Club auf Rädern aufzutreten. Der Eintritt ist frei. Für die Künstler wird ein Hut herumgereicht. Knapp 40 Leute sind heute gekommen. Es ist Samstagabend. Der Wagen ist voll. Es wird schnell warm. Der Atem kondensiert an der gläsernen Eingangstür. Ein Mann aus Heidelberg steht mit Gitarre auf der Bühne. Er singt: „Spürst du diese Enge?“ Und alle wissen, was gemeint ist. Und wenn draußen die S-Bahn vorbeifährt, flackern drinnen die Lichter.
Heute hat Thorsten Fixemer elf ausgebaute Wagen auf seinem Hof stehen, den er im südlichen Schleswig-Holstein gepachtet hat. Er vermietet sie für Geburtstags- oder Betriebsfeiern. Im Sommer ist er während der Schulferien mit einem der kleineren Anhänger in Hamburg unterwegs. Dann wird ein fahrendes Theater daraus, in dem Kinder und Jugendliche eigene Stücke proben und in ihren Stadtteilen aufführen können. Geld verdienen kann er damit nicht, „aber es ist eine gute Sache“, weiß der dreifache Familienvater, der einen gemeinnützigen Verein für Kunst und Kultur gründen will. Das würde vieles einfacher machen. „Denn wenn es Leute gibt, die ihr Geld in eine gute Idee umwandeln möchten und uns mit Spenden unterstützen wollen, wäre das natürlich besonders hilfreich.“
Thorsten Fixemer ist ein Träumer, das sagt er selber. Und er erzählt auch gerne von seinen Ideen. Allerdings nur von denen, die sich auch erfüllen lassen. Eine davon geht so: Einen bereits rundum verglasten Wagen, der bei ihm zuhause steht, möchte er so ausbauen, dass man darin sicher durch die Stadt fahren kann. „Wie in einem gläsernen Salon. Mit zehn Stundenkilometern durch Hamburg. Mit einer Band an Bord. Die Gäste können unterwegs ein- und aussteigen. Wie auf einer Barkasse.“ Mit ausgebreiteten Armen steht er jetzt da, wie ein Dirigent. „100 Prozent mobil“, betont er noch einmal. Und seine Augen leuchten, als er das sagt.
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