Ina Körner hat große Ideen. Eine davon geht so: Sie hat das Wort Müll aus ihrem Wortschatz gestrichen. Sie sagt: „An Müll oder Abfälle denke ich schon lange nicht mehr, das ist mir viel zu abfällig – für mich sind das wertvolle Ressourcen.“ Die Hamburger Wissenschaftlerin träumt von der „Zivilisations-Bioraffinerie“.
Sie weiß zum Beispiel, wie man aus Essensresten Biogas macht. Sie weiß auch, wie aus Urin Stickstoff und Phosphor gewonnen werden kann, was wertvolle Mineraldünger sind. Und sie kennt eine Methode, wie man das Toilettenabwasser für die Produktion von Energie nutzen kann. „Und es gibt noch sehr viel mehr Ideen“, sagt die Frau mit den dunkelbraunen, schulterlangen Haaren, „der Tag hat ja aber nur 24 Stunden.“
Ina Körner ist Wissenschaftlerin. Sie sagt: „Ich denke ständig in die Zukunft“, das bringe ihr Beruf so mit sich. Doch eine Träumerin sei sie nicht. „Dafür bin ich zu rational.“ Sie will Wissen schaffen, „das auch umgesetzt werden kann, das alltagstauglich ist“. Das ist ihr wichtig. Seit über 20 Jahren lehrt und forscht sie in Hamburg an der Technischen Universität Harburg, seit kurzem am Institut für Abwasserwirtschaft und Gewässerschutz. Und eines Tages, davon ist Ina Körner überzeugt, wird es keine organischen Reststoffe mehr geben. „Denn fast alles lässt sich als Dünger nutzen oder in Rohstoffe und Energie umwandeln – etwa in Biogas, Ethanol oder Wasserstoff.“
Die bald 50-Jährige sitzt in ihrem Büro am Schreibtisch und erzählt jetzt von den idealen Bedingungen, die fleißige Mikroorganismen brauchen, um organisches Material zu Erde zu machen: ausreichend Sauerstoff, genügend Feuchtigkeit und die richtige Temperatur. Man kann sich mit ihr stundenlang über Kompostierung unterhalten. Das ist ihr Spezialgebiet. „Kompost wird noch immer unterschätzt“, sagt sie, „doch er wird mehr und mehr an Bedeutung gewinnen. Noch haben unsere Böden ausreichend Nährstoffe, aber wie lange noch? Eines Tages werden diese überstrapaziert sein und der Ruf nach Humus wird lauter werden.“ Sie taucht jetzt etwas tiefer ein in die Welt des Kompostierens. Und wenn sie etwas Kompliziertes einfach machen möchte, malt sie es gerne auf ein Stück Papier und erklärt das Erzählte mit Hilfe kleiner Zeichnungen, mit Kurven und Diagrammen. Das ist dann wie im Hörsaal an der Tafel, wo sie im kommenden Semester Bioressourcen-Management und Bioraffinerietechnologie unterrichten wird.
Nun zeigt sie, wie viele kleine Ideen zu einem großen Gedanken werden können, zu einem Projekt, das auch tatsächlich umgesetzt wird – wie die „Jenfelder Au“: Ende 2013 sollen auf einem ehemaligen Kasernengelände im Hamburger Osten die Bauarbeiten beginnen. 2016 soll das Neubaugebiet mit mehr als 600 Wohnungen fertig sein. Und neben der Energieversorgung durch Solarkollektoren und Erdwärme werden diese auch mit einem bislang einzigartigen Abwassersystem ausgestattet sein. „Denn Abwasser ist nicht gleich Abwasser“, erklärt Ina Körner. Das Konzept: Die Abwasserströme sollen bereits vor Ort getrennt werden – in so genanntes Schwarzwasser (aus der Toilette), in Grauwasser (aus Waschmaschine, Küche und Bad) und in Regenwasser.
„Allein im Toilettenwasser steckt ein riesiges Potenzial. Und in der Jenfelder Au sollen die Bewohner diese Energie unmittelbar nutzen können.“ Eine Millionen Liter Fäkalien und Urin sowie 150 Tonnen Küchenabfälle erwartet man pro Jahr. „Wunderbar“, sagt Ina Körner und reibt sich die Hände. Die Fäkalien zum Beispiel sollen in Vakuumtoiletten aufgefangen und in einer Biogasanlage vergoren werden. Ein Drittel der benötigten Wärme und die Hälfte des Strombedarfes des Stadtteiles sollen aus dem Abwasser gewonnen werden. Versorgen durch Entsorgen hat man das Modellprojekt übertitelt. Und natürlich entwickelt man so ein Konzept nicht alleine, sondern braucht viele Kooperationspartner – in diesem Fall sind es gleich zehn, darunter die Hamburger Stadtentwässerung.
In den Laboren im Erdgeschoss des Instituts will Ina Körner nun einige der Versuchsreihen zeigen, die dort mit Schwarzwasser gemacht werden. Auf dem Weg dorthin erzählt sie in den mit Neonröhren beleuchteten Fluren ein wenig mehr über sich.Sie ist in Klingenthal im Vogtland aufgewachsen, einem Dorf in Sachsen mit kaum 8000 Einwohnern. Sie hat in Dresden studiert und promoviert. „Der Forscherdrang war schon immer da“, sagt sie, „meine Neugierde scheint angeboren zu sein.“ Ihr Alltag als Wissenschaftlerin ist vielfältig: Forschungsanträge stellen. Fördermöglichkeiten finden. Vorlesungen halten. Vorträge ausarbeiten. Diplomarbeiten besprechen. Versuchsreihen betreuen. Gerade war sie für einen Vortrag in Frankreich. „Es gab Zeiten, da fühlte sich das Fliegen wie Busfahren an“, erzählt sie. Drei Jahre lang pendelte sie für Forschungsprojekte zwischen Kuba, Malaysia, Thailand und Hamburg hin und her. Sie sagt: „Das war interessant, aber irgendwann nicht mehr gesund.“
Und dann ist Ina Körner gedanklich auch schon wieder bei ihren Ideen, wobei sie selten wie eine Wissenschaftlerin klingt, wenn sie diese erklärt. Sie weiß, die Dinge schlüssig und mit einfachen Worten zu veranschaulichen, so dass jeder sie verstehen kann. Ein großes Problem sieht sie darin, dass Küchen- und Gartenabfälle zusammen in einer Tonne gesammelt und entsorgt werden. Würde man diese trennen, wäre eine Energieproduktion viel einfacher und ergiebiger. „Küchenreste eignen sich zum Beispiel hervorragend für eine Vergärungsanlage, weil sie viel Biogas produzieren. Zweige und Laub aus dem Garten dagegen sind besser für die Wärmegewinnung.“ Ein Zerkleinerer für Küchenreste wäre zum Beispiel eine gute Sache, serienmäßig in jedem Haushalt. „Dann könnte man die Reste mit dem Schwarzwasser zusammenleiten und hätte eine gute Grundlage für einen Vergärungsprozess. Und den Weg zur Biotonne würde man sich auch noch sparen.“
Eine Welt, in der es keine organischen Abfälle mehr gibt, in der man nichts mehr wegwirft – das ist ihre Vision. „Eine Zivilisationsbioraffinerie“, wie sie es nennt. Und in jeder Region würde die Nutzung anders aussehen, da jede Region andere Ressourcen hat – dort ist es mehr Holz, dort ist es mehr Gras, in der Stadt sind es mehr Abwässer und Küchenreste. „Viele Prozesse sind ja längst erforscht, man muss es nur schaffen, die einzelnen Bereiche zusammenzubringen und zu vernetzen.“ Und Ina Körner sucht nach diesen Schnittstellen zwischen Abfall- und Abwasserwirtschaft, zwischen Forst-, Land- und Energiewirtschaft. Sie ist die, die die Ideen entwickelt, wie man die einzelnen Zweige zusammenführen kann. „Unser Müll wird unterschätzt und muss zur Ressource werden – anders geht es nicht“, sagt sie, „schaffen wir das nicht, wird es Probleme geben.“